Wenn Pflege rationiert wird – neueste Forschung zu diesem Thema
Pflegefachleuten in europäischen Spitälern fehlt oft die Zeit, um pflegerische Massnahmen wie zum Beispiel Gespräche mit Patienten oder die Anleitung von Angehörigen durchzuführen. Auch Schweizer Spitäler sind davon betroffen. Das zeigt eine Untersuchung des Fachbereichs Pflegewissenschaft der Universität Basel, die in der Fachzeitschrift «BMJ Quality & Safety» publiziert wurde.
Der Spardruck im Gesundheitswesen zwingt Pflegefachleute im Spitalalltag oft zu schwierigen Entscheidungen: Sie müssen beurteilen, welche pflegerischen Massnahmen sie ihren Patienten überhaupt anbieten können und welche sie auslassen müssen. Studien in den letzten Jahren haben dieses Phänomen untersucht und beispielsweise einen signifikanten Zusammenhang zwischen der Rationierung von Pflege und der Patientensterblichkeit gezeigt.
Vier von 13 Massnahmen unterbleiben
Im europäischen Durchschnitt mussten Pflegefachpersonen vier von 13 pflegerischen Massnahmen in ihrer letzten Arbeitsschicht auslassen. Die Schweizer Spitäler schnitten mit drei von 13 ausgelassenen Massnahmen vergleichsweise gut ab. Allerdings bestanden zwischen und innerhalb der Länder teilweise grosse Unterschiede. In den 35 teilnehmenden Schweizer Spitälern variierte die Anzahl zwischen einer und vier ausgelassenen pflegerischen Massnahmen.
Die Ergebnisse zeigen im europäischen Vergleich ein ähnliches Muster: Psycho-edukative Massnahmen (zum Beispiel Gespräche mit Patienten oder das praktische Anleiten von Patienten und ihren Angehörigen) entfallen häufiger als beispielsweise Massnahmen wie Pflegeplanung und Dokumentation, Patientenüberwachung, Umlagern von Patienten und das rechtzeitige Verabreichen von Medikamenten.
«Psycho-edukative Massnahmen gehören zwar seit jeher zu den Kernaufgaben der Pflege, werden aber angesichts knapper Ressourcen häufig nicht durchgeführt. Sie erhalten vom Pflegefachpersonal geringere Priorität, da sie sehr zeitintensiv sind und der Zeitaufwand schlecht planbar ist», so Dr. René Schwendimann, Leiter der Schweizer Forschungsgruppe.
Negativer Einfluss auf Arbeitszufriedenheit
Das Rationieren von pflegerischen Massnahmen ist selbst innerhalb der Pflege ein Tabuthema, stellt es für Pflegefachpersonen doch ein berufsethisches und moralisches Dilemma dar. Dies kann sich negativ auf die Arbeitszufriedenheit auswirken und gar zu Burnout oder Berufsausstieg führen. Gerade deshalb sei es wichtig, dass zu diesem Thema im Gesundheitswesen ein offener Diskurs geführt wird, so die Studienautoren.
Spitalmanagement gefordert
Die Untersuchung zeigte auch, dass – unabhängig von der Länderzugehörigkeit – das Auslassen von pflegerischen Massnahmen in den Spitälern seltener vorkommt, in denen die Pflegefachleute bessere Rahmenbedingungen vorfanden. Diese betrafen unter anderem die Führungsqualität der Abteilungsleitung, die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Pflegenden und das Ausmass von nicht-pflegerischen Tätigkeiten wie etwa das Reinigen von Patientenzimmern.
«Das Spitalmanagement kann durch die Optimierung der Rahmenbedingungen dazu beitragen, dass Pflegefachpersonen pflegerische Massnahmen weniger häufig rationieren müssen», so Schwendimann. Angesichts der Sparmassnahmen im Gesundheitswesen in vielen europäischen Ländern kann sich das Auslassen von Pflegemassnahmen weiter verschärfen. Regelmässige Befragungen des Pflegepersonals können als Warnsystem dienen, um Ressourcenmängel frühzeitig zu erkennen.
Quelle: Fraunhofer-Gesellschaft